Impressum
 
  >Startseite >Reisebericht
erste Seite Seite zurück   1 2 3 4 5   Seite vor letzte Seite  
 
    R e i s e b e r i c h t-S e i t e  1
 
 
 
M e n u e
 
 
 
   
 
   
Bolivien - Aufbruch ins Abenteuer
 
 
 
Robert Rauch
 

Autor: Robert Rauch
Diese Reise fand 2004 statt.
An der Reise haben Robert Rauch und José Lazo teilgenommen.
Weitere Informationen sind auch auf meiner homepage zu finden.

 
 
 
 
Aufbruch ins Abenteuer

Eine Erkundungsexpedition vom bolivianischen Apolobamba-Gebirge zu den Regenwäldern Amazoniens.

 
 
 
Einsam und abgelegen liegen diese Kartoffelfelder und Weidegründe für die Lamas auf etwa 4.400 Metern. Im Hintergrund die Kordillera Apolobamba mit ihren bis in über 6.000 Meter hoch reichenden Gipfeln.
 
 

Die Vorstellung von den letzten Paradiesen der Erde entspricht schon lange nicht mehr der Vorstellung eines Einzelnen. Stattdessen ist sie zu einer Floskel der Tourismusbranche geworden. Kathegorie in einem Reisekatalog wie >>Hauptstadt des Handwerks<< oder >>kulturelles Mekka<<. Die individuelle Erfahrung bleibt das Problem des Einzelnen. Als hoffnungsloser Romantiker habe ich mein Leben lang zu Fuß nach Orten gesucht, von denen die großen Macher keine Ahnung haben und die kein Reisehandbuch kaputt schreibt. Wie und warum es mich in den Andenstaat Bolivien verschlug ist eine lange Geschichte. Jedenfalls lebe ich einen Teil des Jahres dort. Seit 15 Jahren führe ich zahlende Kunden durch die Wildnisse und auf die hohen Berge Boliviens. Meine liebsten Trekks verlaufen weitab des Mainstream und sind nur wenigen bekannt. Um kontinuierlich dort führen zu können, wo andere Touranbieter nicht sind, entwickle ich ständig neue kreative Ideen. Dazu gehört unter anderem, dass ich jedes Jahr mindestens eine unbekannte Route auschecke. Manche Touren aus meinem umfangreichen Repertoire eignen sich, um sie einem zahlenmäßig beschränkten Personenkreis als Trekk anbieten zu können, andere erweisen sich als ungeeignet und landen in meinem großen Archiv mit über 100 verschiedenen Touren. Da ist für jeden etwas dabei, ob Anfänger oder Profi. Mit meinem in Jahrzehnten erworbenen Insiderwissen ist es nicht nötig, eine einzelne Route zu stark zu beanspruchen, ich wechsle oft durch, um den ursprünglichen Charakter der Trips zu erhalten. Nach der Führung eines zweiwöchigen weltweit bekannten Trekks nahe der Millionenstadt La Paz bleiben mir 12 Tage freie Zeit, um eine neue Route zu erkunden bevor die nächste Führungsarbeit wartet.

Meine persönliche Ausrüstung ist schon in einem kleinen Rucksack verstaut: Einmannzelt, kleiner Biwakschlafsack, leichtes Regenzeug, Ersatzhemd, zweite Unterhose, Ersatzsocken, kleiner Spirituskocher, kleiner Teekessel, die nötigste warme Bekleidung für die Anden bzw. zum Anziehen im Schlafsack in kalten Nächten und ein paar Kleinigkeiten mehr. Was noch fehlt sind der Kochertreibstoff und die Verpflegung. Als Brennstoff kaufe ich an der nächsten Straßenecke einen halben Liter 98 prozentigen Alkohol >>nur zur äußerlichen Anwendung<<, wie auf der Flasche empfohlen wird. Man kann das Zeug auch trinken, was aber nicht so mein Ding ist. Die Verpflegung kaufe ich in einer anderen Strasse: drei Kilogramm Pita de Kaniawa, ein Hunger stillendes bolivianisches Getreidepulver und ein Kilogramm Zucker. Mit kaltem Wasser angerührt und mit Zucker gestreckt genügt Kaniawa eine zeitlang als extrem leichter und nahrhafter Proviant. Mein gepackter Rucksack wiegt lediglich acht Kilogramm. Das ungewöhnlich leichte Gepäck wird mich unterwegs schnell machen und es ist im Nu gepackt. Dafür werde ich jedoch auf meinem Routenprojekt mit einem gerade noch akzeptablen Minimum an Komfort auskommen müssen.

Jetzt fehlen nur noch die Busfahrkarten zum Ausgangspunkt. In den engen, verwinkelten Kopfsteinpflastergassen von La Paz wimmelt es vor Menschen und Marktständen. Vom Tampon über Taschentücher bis zur Computersoftware gibt es alles zu kaufen was man braucht oder nicht braucht - man muss nur wissen in welcher Strasse. La Paz ist bunt, laut, verrückt und ständig bricht der Verkehr zusammen. Die Abgase im Zentrum werden von den Passanten auf einer atemberaubenden Höhe von 3.600 Meter über dem Meeresspiegel tief inhaliert. Es ist nicht unbedingt meine Welt, aber ich habe gelernt, mich hier zurechtzufinden. Hoch droben im El Alto, dem mit 4.100 Meter höchstgelegenen Stadtteil, bekomme ich zwei Sitzplatz-Fahrkarten nach Agua Blanca, meinem weit entfernten Reiseziel. Ein nicht ortskundiger findet das versteckte Büro der privaten Busgesellschaft nie, auch nicht durch fragen. Typisch La Paz: Man muss den Ort einfach kennen. Vom El Alto sieht man weit hinunter in den wüstenähnlichen Talkessel von La Paz mit seinem Häusermeer. Innerhalb der Stadt sind 1.000 Höhenmeter per Taxi oder Bus keine Seltenheit, auch das ist ein Superlativ dieser höchstgelegenen Millionenmetropole der Welt. Eine Fahrkarte ist für mich, die zweite für den Aymara Indio José Lazo, den ich eigentlich heute treffen hätte wollen. Wir sind schon seit Jahrzehnten sehr gute Freunde. Anstatt mich in La Paz zu treffen, muss Jose ausgerechnet heute an einer Bürgerversammlung seines Heimatdorfes Quirambaya, auf denen viel geredet und nichts gesagt wird und die er für völlig überflüssig hält, teilnehmen. Jose fehlte heuer bereits zweimal und diesmal müsste er eine empfindliche Geldstrafe zahlen, wenn er nicht hinginge. Das zwingt ihn, morgen früh um 4:00 Uhr den ersten Nachtbus vom Kolonialstädtchen Sorata zum Verkehrsknoten Achacachi zu nehmen, wo wir uns dann treffen wollen. Wird das klappen? Falls er zu spät kommt werde ich nicht auf ihn warten können. Ich gehe ziemlich früh zu Bett. Bevor ich kopfüber in die schwarze Höhle tiefen Schlafes stürze dringt als letzter bewusster Eindruck dieser nie versiegende Straßenlärm von La Paz in mein Unterbewusstsein.

Morgens um halb sechs, der klare Nachthimmel ist sternenübersät, stehe ich vor dem Busbahnhof Pelechuco, wo bunt durcheinandergewürfelte Reisende in der Morgenkälte von El Alto um die Wette zittern. Es beginnt zu dämmern, bis wir losfahren. Also eine reguläre Verspätung, eigentlich sind wir sogar sehr pünktlich. Der Bus ist so voller Menschen, dass er aus allen Nähten zu platzen zu platzen scheint. Ich bin der Einzige >>Gringo<<, wie in Bolivien der weiße Mann genannt wird, denn diese Buslinie liegt nicht auf den ausgetretenen >>Gringo Trails<<. Alles erscheint furchtbar chaotisch, aber wie durch Zauberei oder mittels eines dem Europäer unerkennbaren Systems funktioniert es auf wundersame weise doch. Der Bus fährt übers Altiplano, der größten Hochebene der Welt, von der Morgensonne rosa angehauchte Gletscherriesen der nördlichen Königskordillere huschen am Fenster vorbei. In Achacachi steht ein frierender Aymara Indio am Straßenrand und winkt. Die Bustüre geht auf und er lugt mit ernster Miene herein. Es ist José! Als er mich erkennt huscht ein lächeln über sein Gesicht - wir haben uns gefunden. Zuerst mal ruft der Fahrer >>Mittagessen<<, es ist noch früh am Morgen. Später wird es auf der nur dünn besiedelten Strecke mangels Gelegenheit lange nichts mehr geben. Wir folgen den anderen Fahrgästen, alle zusammen fallen wir wie ein Bienenschwarm in einem Restaurant neben der Strasse ein, das um diese Zeit schon geöffnet ist. 40 Minuten danach sitzen oder stehen die Fahrgäste erneut auf ihren Plätzen und die Reise geht weiter. Landschaftlich großartig fahren wir am dünn besiedelten Ostufer des Titicacasees entlang, dann biegen wir bei Carabucco östlich ab und der Bus schnauft steil hinauf in menschenleeres Andenhochland. Im Ulla Ulla Nationalpark grasen riesige Lama- und Vicunaherden (die Urform von Lama und Alpaka) beiderseits der Strasse auf Weideflächen ohne Anfang und Ende. Stunde um Stunde holpern wir dahin, dösen, schauen aus dem Fenster oder ratschen. >>Privattransport empfehlenswert<< notiere ich mir wegen der klaustrophobischen Enge im Bus in mein Notizheft. Es fahren auch Tiere mit, das ist nicht jedermanns Sache, gehört aber eigentlich dazu. Die Landschaft zieht weit und menschenleer am Busfenster vorbei und am Horizont recken weiße Gletschergebirge ihre kalten Finger in den tief dunkelblauen Andenhimmel: Die Apolobamba Kordillere. >>Sind wir eigentlich noch in Bolivien?<< fragt José auf einmal zweifelnd. Die Landschaft mutet so fremd an, dass er darin sein eigenes Heimatland nicht wiederfindet. Ich erkläre ihm den bolivianisch-peruanischen Grenzverlauf, der vom 6.000er Chaupi Orco und einer Reihe von 5.000ern markiert wird. Im Militärstützpunkt Ulla Ulla steigen 30 Leute aus, das bedeutet endlich Platz um sich ein wenig strecken zu können. Stunde um Stunde zerfließt, im Lauf des Nachmittags ziehen dunkle Schlechtwetterwolken auf , die irgendwann den Bus einhüllen. Jegliches Zeitgefühl vergeht.

Nach 12 Stunden Fahrt steigen wir kurz vor Einbruch der Nacht an einer Haltestelle im Nichts aus. Es beginnt zu nieseln und wir erkennen verschwommen die Konturen einer Ansammlung von Lehmhütten: Das Dorf heißt Agua Blanca, es liegt 3.900 Meter über dem Meeresspiegel. Wie eine Offenbarung erscheint plötzlich ein hübsches junges Quechua Mädchen in Tracht aus dem Nebel und grüßt uns scheu. Wir fragen sie höflich nach einem Quartier. Sie bringt uns zu ihrer Mutter. Die schlanke, kräftige Frau mit rotem Poncho und in Sandalen an den nackten Füßen hat ein herbes aber wohl geformtes Gesicht mit zwei lebhaften rehbraunen Augen und ist sehr klein. Sie gibt uns in einer José und mir unverständlichen Sprache sowie durch Gesten zu verstehen, dass wir ihr folgen sollen. Wir verstehen auch ohne Worte was sie will. Während wir hinter ihr herlaufen, fallen mir ihr langer, pechschwarzer Zopf und ihr flinker, katzenartiger Gang auf. Wir werden von ihr zu einem für die Abgelegenheit von Agua Blanca erstaunlich komfortablen Haus gebracht, in dem sie uns alleine zurücklässt. In der Küche dürfen wir uns ein schmackhaftes Abendessen aus Resten kochen. Spät abends besuchen uns zwei Männer aus dem Dorf, die gute Ortskenntnisse haben und Spanisch sprechen. Wir fragen sie nach unserem Weg, wobei sich herausstellt, dass diese ursprünglich geplante Route verworfen werden muss. Als ich das letzte mal in dieser Gegend, ein Stück weiter unterhalb, in Pelechuco, zu tun hatte, wurde mir der Weg, den es schon seit 20 Jahren nicht mehr gibt, in den schillerndsten Farben beschrieben. Man versichert uns glaubhaft, dass dort kein Durchkommen ist. Die Angaben von denen ich ausging sind alle falsch gewesen, aber es hilft im Augenblick auch nichts, darüber zu lamentieren. Juan und Rodolfo, so heißen die beiden sympathischen Quechua Indios, beschreiben uns die ungefähren Stationen einer alternativen Route, die zum gleichen Zielort führt und sich vielversprechend anhört: Von Agua Blanca über den >>Bärenweg<< nach Calestia, dann weiter nach Mojos, von dort über eine befahrbare Schlaglochpiste nach Tuichi, dann weiter in die Kreisstadt Apolo, einem Zentrum des Cocahandels. Sie geben zu, dass sie den Weg nur bis Calestia kennen, wo er eigentlich gerade erst beginnt. Aber diese Anhaltspunkte genügen fürs erste. Jetzt erst fällt mir auf, dass Jose Straßenschuhe trägt. >>zwei Paar Schuhe mitzunehmen ist doch völlig unnötiges Gewicht, wir gehen doch nicht auf eine Tanzveranstaltung<< tadle ich ihn. >>Ich habe in der Eile des nächtlichen Aufbruchs meine Laufschuhe in Quirambaya vergessen<< gibt Jose kleinlaut zu. Jose braucht 40 getrabte Minuten von Quirambaya zur Bushaltestelle in Sorata - es ist mir allerdings ein Rätsel, wie man da nicht an seine guten Schuhe denkt! Auf diesen Versammlungen wird immer viel getrunken, das würde die Sache vielleicht erklären. Eine Schuldfrage ist jetzt nicht von Bedeutung, das ändert am Sachverhalt auch nichts. Die abgelatschten Straßentreter können jedenfalls die vor uns liegenden strengen Marschtage keinesfalls aushalten, sie fallen schon fast von alleine auseinander. In Agua Blanca gibt es keinen Gemischtwarenladen und ob wir in Pelechuco, dem nächsten und letzten Dorf für längere Zeit, Turnschuhe kaufen werden können wissen Juan und Rodolfo nicht. Wir bedanken uns herzlich bei den beiden gastfreundlichen Quechua, bezahlen das Quartier, verabschieden uns und gehen zu Bett. Tief in der Nacht schlägt ein böser Platzregen auf das Blechdach des Hauses wie unablässige Trommelwirbel. Hoffentlich wird das Wetter wieder besser!

 
  nach oben Seite zurück Seite vor
Letzte Aktualisierung: 18.03.05
  ©Travel-Fever 2001 bis 2015