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M
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�ber alle Berge - Eine Bolivianische Zeitreise |
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Die
ganze Woche über haben wir schlechtes Wetter und graben weiter,
täglich marschieren wir eine Stunde zur Ruine, eine Stunde brauchen
wir zurück. Schließlich finden wir doch noch eine kleine
Quelle unterhalb des Burghügels, dabei stoße ich in einer
Höhle auf zwei eigenartige Kinderschädel mit etwa vier mal
so hoher Stirn wie bei einem normal proportionierten Kopf und Hüftknochen,
die von sehr großen Menschen stammen müssen. Der hohe Wuchs
der Knochen läßt vermuten, daß es sich hier um eine
ausgestorbene Rasse handelt, die nicht mit der kleinwüchsigen
Aymara-Nation verwandt war. Was waren das für Menschen, von denen
selbst die kleinste Spur einer Erinnerung fehlt? Bei unseren Grabarbeiten
kommen Steinbänke, furchterregende steinerne Streitäxte,
Steinschleuder-kugeln aus Kupfer und gepflasterte Weganlagen zum Vorschein.
Wenn man bedenkt, daß täglich je eine Person bei den Lamas
zur Bewachung zurückgelassen werden mußte, und mit welch
primitiven Mitteln wir uns abmühten, so kann ich mit Stolz behaupten:
Wir haben viel geleistet und wurden mit hervorragenden Resultaten
belohnt. |
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Pedro
mit einigen unserer Funde, die wir an einem Tag ausgegraben haben.
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In
der Nacht hat es aufgeklart, die Temparatur ist stark gefallen und
morgens ist der Regen auf dem Zelt gefroren. Die Seife ist alle und
das Milchpulver geht zur Neige. Da wir nun wissen, wo es in Guinapi
Wasser gibt, geben wir heute unser bisheriges Basislager auf und ziehen
direkt in der Ruine ein, die uns bereits so vertraut ist, als hätten
wir lange Zeit dort gelebt. Juan und Pedro packen unsere Funde zusammen,
die sie in meinem Auftrag nach Sorata transportieren sollen. Nach
einer umständlichen Einleitung rücken sie damit heraus,
daß unsere Ausbeute, ihrer festen Überzeugung nach, mit
einem bösen Zauber verhext ist, sie weigern sich deshalb, die
Fundstücke in ihren Häusern aufzubewahren. Zum Beweis, daß
die Ware völlig harmlos ist zeige ich die Steinschleuderkugeln
her, die mir als Kopfkissenunterlage dienen. Wie man sieht - ich lebe
noch. Ich schlage eine Alternative vor: An verborgener Stelle außerhalb
Cocoyo’s, soll das nicht mehr benötigte Basislagerzelt
heimlich aufgestellt und die Fundstücke dort deponiert werden.
Damit wirklich niemand auf die Idee kommt am Zelt herumzufummeln wird
ein Schild angebracht: >Vorsicht, gefährlich, Zeltinhalt verzaubert!<.
Sollte das Zelt dennoch abhanden kommen, so übernehme ich dafür
die alleinige Verantwortung. So schnell wie möglich wird der
dubiose Inhalt nach Sorata geschafft und dort meinem Freund Louis
Demers übergeben. Damit sind Pedro und Juan einverstanden, wenngleich
ich von ihren Gesichtern ablese, daß ihnen nicht sonderlich
wohl in ihrer Haut ist. |
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Wetterleuchten
und Abendstimmung in Guinapi. Weit unter uns liegt das Becken des
Amazonas, den man von hier aus aber praktisch nur erahnen kann, da
er so gut wie immer durch Nebel verhüllt ist. |
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Kurz
vor Einbruch der Dunkelheit machen meine abergläubischen Begleiter
Anstalten davonzulaufen, sie fürchten sich vor bösen Geistern,
die sie im alten Gemäuer vermuten. Geduldig rede ich lange beschwichtigend
auf sie ein, finde auf jedes wenn und aber die passende Antwort. Darüber
wird es dunkel, ich habe gewonnen - denn jetzt fürchten sie sich
vor dem durch die Ruinenanlage führenden Weg mehr, als davor
hier zu bleiben. Wie Schwule liegen wir ineinander verschränkt
zu siebt im größten Zelt und erzählen uns Geschichten.
Jemand beginnt von >Karisiris< zu reden, Personen, die zur Tarnung
als Menschen unter uns sind, die auch in irgendjemand von uns stecken
könnten. Nachts wird ein Karisiri zu einem Geist, der unvorsichtigen
Männern, etwa Betrunkenen, die allein auf der Straße schlafen
mit einer Art Spritze das Fett absaugen. Ein Opfer wird ganz langsam
immer weniger, nach längerem Siechtum stirbt es. (Die Symptome
deuten meiner Meinung nach auf eine Quecksilbervergiftung hin - Goldschürfer
benützen dieses Teufelszeug.) Das Fett wird nach Amerika verkauft
um die vielen Kriegswaffen zu schmieren. Eine Karisiri-Panik hätte
mir gerade noch gefehlt. Ich wechsle schnell das Thema und gebe ein
deutsches Wintermärchen zum Besten. |
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Heiterkeit
- als ob in der Nacht nichts gewesen wäre. Morgenstunde in Guinapi.
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El
Monte - Der Dschungel
Eine grüne Reise durch Sinne und Triebe
Noch vor dem
ersten Tageslicht streife ich ein letztes Mal durch die alten Gemäuer
ungewisser Herkunft. Ich fühle einen starken Impuls nachzudenken.
Was weiß der Mensch über sich selbst? Mir erscheint das
kapitalistische Weltbild so fadenscheinig, daß jeder Schritt
ein Schritt vom Menschsein weg ist. Wir führen heute Kriege
mit solch unglaublicher Zerstörungspotenz, daß die Waffen
von Guinapi sich dagegen wie harmloses Kinderspielzeug ausnehmen.
Was weiß der amerikanische Fliegeroffizier von der Kultur,
die in einem Rauchpilz in die Luft gewirbelt wird, wenn er auf den
Bombenhebel drückt? Unsere Formeln und Schriften wirken ordentlich
- sie werden in einen Untergang münden, wie er noch nie da
gewesen ist. |
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Juan-Carlos
folgt der Spur eines Schwarzbären. Dadurch kann man sich den
Abstieg erleichtern. |
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Wie
die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen.
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann wieder
der knospende Wald, wenn neu auflebt der Frühling. So das Menschengeschlecht:
Dies wächst und jenes verschwindet. Ein Morgenrot erblüht
über den sich endlos aneinanderreihenden Tropentälern, auf
der gegenüberliegenden Seite erglänzen in der Ferne die
6.000er Pico Norte und Illampu im ersten Licht, ihre Gipfel sind in
Wolken gehüllt. |
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Die
Vegetation
wird ab nun schon merklich dichter. Lästig sind die zahlreichen
Ameisen, die hier im Buschwerk zu Gange sind.
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Nach
dem Frühstück schultern Pedro und Juan zwei schwere Bündel
mit den Funden, die sie gerade noch zu tragen vermögen und ziehen
damit ab zu den Lamas. Paolino, Juan-Carlos, Braulio und ich vertauschen
Schaufel und Pickel gegen Macheten - lange, scharfe Messer. Bereits
nach zehn Minuten Abstieg sind die Mauern von Guinapi, die sieben
Tage lang den Tagesablauf bestimmten und uns bis in die Träume
beschäftigten, wegen der Steilheit des Hanges aus unserem Blickfeld
verschwunden. Einfach nicht mehr da. Das Gras ist hoch und dicht,
wir sind froh, nach unten führende Bärenspuren benutzen
zu können, die uns das Vorwärtskommen erleichtern. In etwas
über einer Stunde gelangen wir ungefähr 1.000 Höhenmeter
tiefer, es wird merklich wärmer und Mücken schwirren in
schwarzen Schwärmen um unsere Köpfe, summen mit tausenden
blutrünstigen Stimmen, als wären sie wütend auf uns. |
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Blick
hinunter in end- und namenlose Urwaldtäler.
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Das Gras weicht
nun den Blumen der Tropen. |
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Kompakt
wie eine grüne Wand - der nahezu undurchdringliche Urwald.
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Das
Grasland geht allmählich in dichtes Buschwerk über. Unvermittelt
stehen wir vor einer geschlossenen grünen Wand aus Bäumen
und dichter Vegetation: Der Urwald. Ein Urschauer durchläuft
mich, das Gefühl, als wäre ich eine Million Jahre zurück
ans Ende der Welt versetzt worden. Kein Ich, keine Form, kein Grundsatz
sind mehr sicher. Unsere Macheten sausen auf das dichte Gestrüpp
nieder, wir messern uns einen gangbaren Tunnel durch die Wand. Ein
unmerkliches Vibrieren, ein ängstliches Zittern läuft durch
das Blattwerk: Die Mittagshitze naht. Schweißgebadet schieben
wir uns Meter um Meter vorwärts, oft sind es auch nur Zentimeter.
Obachtgeben müssen wir mit den scharfen Messern und der jeweils
Erste nimmt sich im eigenen Interesse vor dem Schlangenvolk in acht,
welches auf dem Boden und in den Zweigen zuhause ist. Sich so weit
weg von jeder menschlichen Siedlung eine tiefe Schnittwunde oder einen
Schlangenbiss einzufangen, kann den Tod bedeuten. Verborgene Stämme
herabgestürzter Bäume, zu Trugbildern von Schwämmen
und Pilzen verrottet, fallen in sich zusammen, sobald man darauf tritt
und werfen dich zu Boden. Blaue Lichtsplitter bohren sich von oben
in den Blattvorhang herein, sie müssen vom Himmel kommen. Wir
schuften wie die Irren und kommen dennoch nur langsam voran. |
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Letzte Aktualisierung: 18.01.06
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