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    R e i s e b e r i c h t-S e i t e  7
 
 
 
M e n u e
 
 
 
   
 
   
�ber alle Berge - Eine Bolivianische Zeitreise
 
 
 
  Die ganze Woche über haben wir schlechtes Wetter und graben weiter, täglich marschieren wir eine Stunde zur Ruine, eine Stunde brauchen wir zurück. Schließlich finden wir doch noch eine kleine Quelle unterhalb des Burghügels, dabei stoße ich in einer Höhle auf zwei eigenartige Kinderschädel mit etwa vier mal so hoher Stirn wie bei einem normal proportionierten Kopf und Hüftknochen, die von sehr großen Menschen stammen müssen. Der hohe Wuchs der Knochen läßt vermuten, daß es sich hier um eine ausgestorbene Rasse handelt, die nicht mit der kleinwüchsigen Aymara-Nation verwandt war. Was waren das für Menschen, von denen selbst die kleinste Spur einer Erinnerung fehlt? Bei unseren Grabarbeiten kommen Steinbänke, furchterregende steinerne Streitäxte, Steinschleuder-kugeln aus Kupfer und gepflasterte Weganlagen zum Vorschein. Wenn man bedenkt, daß täglich je eine Person bei den Lamas zur Bewachung zurückgelassen werden mußte, und mit welch primitiven Mitteln wir uns abmühten, so kann ich mit Stolz behaupten: Wir haben viel geleistet und wurden mit hervorragenden Resultaten belohnt.
 
  Pedro mit einigen unserer Funde, die wir an einem Tag ausgegraben haben.
 
 
 
  In der Nacht hat es aufgeklart, die Temparatur ist stark gefallen und morgens ist der Regen auf dem Zelt gefroren. Die Seife ist alle und das Milchpulver geht zur Neige. Da wir nun wissen, wo es in Guinapi Wasser gibt, geben wir heute unser bisheriges Basislager auf und ziehen direkt in der Ruine ein, die uns bereits so vertraut ist, als hätten wir lange Zeit dort gelebt. Juan und Pedro packen unsere Funde zusammen, die sie in meinem Auftrag nach Sorata transportieren sollen. Nach einer umständlichen Einleitung rücken sie damit heraus, daß unsere Ausbeute, ihrer festen Überzeugung nach, mit einem bösen Zauber verhext ist, sie weigern sich deshalb, die Fundstücke in ihren Häusern aufzubewahren. Zum Beweis, daß die Ware völlig harmlos ist zeige ich die Steinschleuderkugeln her, die mir als Kopfkissenunterlage dienen. Wie man sieht - ich lebe noch. Ich schlage eine Alternative vor: An verborgener Stelle außerhalb Cocoyo’s, soll das nicht mehr benötigte Basislagerzelt heimlich aufgestellt und die Fundstücke dort deponiert werden. Damit wirklich niemand auf die Idee kommt am Zelt herumzufummeln wird ein Schild angebracht: >Vorsicht, gefährlich, Zeltinhalt verzaubert!<. Sollte das Zelt dennoch abhanden kommen, so übernehme ich dafür die alleinige Verantwortung. So schnell wie möglich wird der dubiose Inhalt nach Sorata geschafft und dort meinem Freund Louis Demers übergeben. Damit sind Pedro und Juan einverstanden, wenngleich ich von ihren Gesichtern ablese, daß ihnen nicht sonderlich wohl in ihrer Haut ist.
 
 
 
 
Wetterleuchten und Abendstimmung in Guinapi. Weit unter uns liegt das Becken des Amazonas, den man von hier aus aber praktisch nur erahnen kann, da er so gut wie immer durch Nebel verhüllt ist.
 
 
  Kurz vor Einbruch der Dunkelheit machen meine abergläubischen Begleiter Anstalten davonzulaufen, sie fürchten sich vor bösen Geistern, die sie im alten Gemäuer vermuten. Geduldig rede ich lange beschwichtigend auf sie ein, finde auf jedes wenn und aber die passende Antwort. Darüber wird es dunkel, ich habe gewonnen - denn jetzt fürchten sie sich vor dem durch die Ruinenanlage führenden Weg mehr, als davor hier zu bleiben. Wie Schwule liegen wir ineinander verschränkt zu siebt im größten Zelt und erzählen uns Geschichten. Jemand beginnt von >Karisiris< zu reden, Personen, die zur Tarnung als Menschen unter uns sind, die auch in irgendjemand von uns stecken könnten. Nachts wird ein Karisiri zu einem Geist, der unvorsichtigen Männern, etwa Betrunkenen, die allein auf der Straße schlafen mit einer Art Spritze das Fett absaugen. Ein Opfer wird ganz langsam immer weniger, nach längerem Siechtum stirbt es. (Die Symptome deuten meiner Meinung nach auf eine Quecksilbervergiftung hin - Goldschürfer benützen dieses Teufelszeug.) Das Fett wird nach Amerika verkauft um die vielen Kriegswaffen zu schmieren. Eine Karisiri-Panik hätte mir gerade noch gefehlt. Ich wechsle schnell das Thema und gebe ein deutsches Wintermärchen zum Besten.
 
  Heiterkeit - als ob in der Nacht nichts gewesen wäre. Morgenstunde in Guinapi.
 
 
 
 

El Monte - Der Dschungel
Eine grüne Reise durch Sinne und Triebe

Noch vor dem ersten Tageslicht streife ich ein letztes Mal durch die alten Gemäuer ungewisser Herkunft. Ich fühle einen starken Impuls nachzudenken. Was weiß der Mensch über sich selbst? Mir erscheint das kapitalistische Weltbild so fadenscheinig, daß jeder Schritt ein Schritt vom Menschsein weg ist. Wir führen heute Kriege mit solch unglaublicher Zerstörungspotenz, daß die Waffen von Guinapi sich dagegen wie harmloses Kinderspielzeug ausnehmen. Was weiß der amerikanische Fliegeroffizier von der Kultur, die in einem Rauchpilz in die Luft gewirbelt wird, wenn er auf den Bombenhebel drückt? Unsere Formeln und Schriften wirken ordentlich - sie werden in einen Untergang münden, wie er noch nie da gewesen ist.

 
 
 
 
Juan-Carlos folgt der Spur eines Schwarzbären. Dadurch kann man sich den Abstieg erleichtern.
 
 
  Wie die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen. Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann wieder der knospende Wald, wenn neu auflebt der Frühling. So das Menschengeschlecht: Dies wächst und jenes verschwindet. Ein Morgenrot erblüht über den sich endlos aneinanderreihenden Tropentälern, auf der gegenüberliegenden Seite erglänzen in der Ferne die 6.000er Pico Norte und Illampu im ersten Licht, ihre Gipfel sind in Wolken gehüllt.
 
  Die Vegetation wird ab nun schon merklich dichter. Lästig sind die zahlreichen Ameisen, die hier im Buschwerk zu Gange sind.
 
 
 
  Nach dem Frühstück schultern Pedro und Juan zwei schwere Bündel mit den Funden, die sie gerade noch zu tragen vermögen und ziehen damit ab zu den Lamas. Paolino, Juan-Carlos, Braulio und ich vertauschen Schaufel und Pickel gegen Macheten - lange, scharfe Messer. Bereits nach zehn Minuten Abstieg sind die Mauern von Guinapi, die sieben Tage lang den Tagesablauf bestimmten und uns bis in die Träume beschäftigten, wegen der Steilheit des Hanges aus unserem Blickfeld verschwunden. Einfach nicht mehr da. Das Gras ist hoch und dicht, wir sind froh, nach unten führende Bärenspuren benutzen zu können, die uns das Vorwärtskommen erleichtern. In etwas über einer Stunde gelangen wir ungefähr 1.000 Höhenmeter tiefer, es wird merklich wärmer und Mücken schwirren in schwarzen Schwärmen um unsere Köpfe, summen mit tausenden blutrünstigen Stimmen, als wären sie wütend auf uns.
 
  Blick hinunter in end- und namenlose Urwaldtäler.
 
 
 
 
 
 
Das Gras weicht nun den Blumen der Tropen.
 
 
  Kompakt wie eine grüne Wand - der nahezu undurchdringliche Urwald.
 
 
 
  Das Grasland geht allmählich in dichtes Buschwerk über. Unvermittelt stehen wir vor einer geschlossenen grünen Wand aus Bäumen und dichter Vegetation: Der Urwald. Ein Urschauer durchläuft mich, das Gefühl, als wäre ich eine Million Jahre zurück ans Ende der Welt versetzt worden. Kein Ich, keine Form, kein Grundsatz sind mehr sicher. Unsere Macheten sausen auf das dichte Gestrüpp nieder, wir messern uns einen gangbaren Tunnel durch die Wand. Ein unmerkliches Vibrieren, ein ängstliches Zittern läuft durch das Blattwerk: Die Mittagshitze naht. Schweißgebadet schieben wir uns Meter um Meter vorwärts, oft sind es auch nur Zentimeter. Obachtgeben müssen wir mit den scharfen Messern und der jeweils Erste nimmt sich im eigenen Interesse vor dem Schlangenvolk in acht, welches auf dem Boden und in den Zweigen zuhause ist. Sich so weit weg von jeder menschlichen Siedlung eine tiefe Schnittwunde oder einen Schlangenbiss einzufangen, kann den Tod bedeuten. Verborgene Stämme herabgestürzter Bäume, zu Trugbildern von Schwämmen und Pilzen verrottet, fallen in sich zusammen, sobald man darauf tritt und werfen dich zu Boden. Blaue Lichtsplitter bohren sich von oben in den Blattvorhang herein, sie müssen vom Himmel kommen. Wir schuften wie die Irren und kommen dennoch nur langsam voran.
 
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Letzte Aktualisierung: 18.01.06
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