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    R e i s e b e r i c h t-S e i t e  3
 
 
 
M e n u e
 
 
 
   
 
   
�ber alle Berge - Eine Bolivianische Zeitreise
 
 
 
  Pedro geht es zwischenzeitlich nicht mehr besonders gut. Dafür bessert sich das Wetter langsam.
 
 
 
  Pedro bekommt starkes Nasenbluten - die große Anstrengung in der beträchtlichen Höhe. Er sagt kein Wort, lehnt nur an einem Felsen und läßt das Blut von seiner Nase auf den Boden rinnen. Während die Nacht langsam ihre Schatten auf die Erde senkt. Ich lasse ihn in Frieden, kein Aymara liebt es, wenn man ihn bemitleidet, ich weiß, was diese Leute reden - auch wenn sie nichts sagen. Bei Einbruch der Nacht legen wir uns schlafen. Im Einmannzelt ist es zu zweit zwar eng, doch geringes Gewicht und schnelle Erwärmung durch das kleine Raumvolumen wiegen diesen Nachteil auf. Pedros Nasenbluten hat zum Glück ganz aufgehört.
 
 
 
 
Das Tiefland des Amazonas Beckens verschwindet weit unter uns im Nebelmeer. Schlagartig hat es zu schneien aufgehört und das Wetter auf 5.000 Metern Höhe, auf denen wir uns befinden, bessert sich deutlich. Es wird eine kalte Nacht werden.
 
 
  Um drei Uhr früh beginnen wir mit der Zubereitung des Frühstücks, packen fröstelnd zusammen, schnallen die Steigeisen an und gehen zum Gletscher hinauf, der gleich hinterm Lager beginnt. Wir sind jetzt froh, uns in Bewegung setzen zu können, es mag wohl minus 25 Grad Celsius kalt sein. Heute spüre ich den schweren Rucksack, wir schleppen ja die gesamt Berg- und Zeltausrüstung mit und bewegen uns nun schon seit Tagen in großer Höhe. Fahl und gespenstisch glänzt der Gletscher im Irrlicht des kranken Mondes, der nur als dünne Sichel am sternenübersäten Himmel hängt. Der Äquatorhimmel ist eine Pracht, nirgends leuchten die Sterne heller und klarer. Die Steigeisen knirschen monoton im Schnee, während ich einen Fuß vor den anderen setze. Pedro folgt am gestreckten Seil 20 Meter hinter mir, wenn ich nach vorne schaue, kommt es mir so vor, als wäre ich alleine, zurückblickend sehe ich das flackernde Zyklopenauge von Pedro’s Stirnlampe - so weit weg wie die Sterne. Und doch: Das Seil schweißt Pedro und mich zu einer Einheit zusammen; wie Wurzel, Stamm und Baum.
 
  Überquerung des Illampugletschers. Links im Bild ist der 6.427 Meter hohe Ancohuma, in der Mitte der 6.368 Meter hohe Illiampu und ganz rechts der 6.040 Meter hohe Pico Norte zu sehen. Hier läßt sich gut erkennen, auf welcher Höhe wir uns bereits befinden.
 
 
 
  Zuerst zeigt sich eine Ahnung von Licht, dann erwacht langsam der Tag. Ein glühendes Morgenrot überzieht den Himmel, plötzlich schiebt sich die Sonne glutrot über den Horizont. Die ersten warmen Strahlen trinken wir mit geschlossenen Augen wie plötzlich erdröhnende Musik. Doch kein Laut regt sich und kein Vogel jubiliert dem geschenkten neuen Tag entgegen. Nur der Wind streicht um Wände und Grate. Der obere Rand des kalten Schneelandes ist so unfruchtbar wie das Trugbild unvergänglichen Ruhmes. Durch die sich vor uns aufsteilende, felsige Gipfelwand steigen wir am Seil gesichert zum flachen Gipfeleisfeld hoch, wo hüfttiefer Schnee liegt. Pedro sichert mich um einen Felszacken und ich wühle mich schnaufend durch den lawinösen Hang. Dann bin ich oben. Nach den Zweifeln der vergangenen Tage erfüllt mich eine Form des Rausches, für den der Mensch das Wort >Freiheit< erfunden hat. Ich gehe ein paar Schritte zur Seite, um den zweifelhaften Schnee zu testen, plötzlich ein dumpfes Knacken unter meinen Füßen, die Schneedecke gibt nach, erschreckt springe ich zur Seite und rufe >Aufpassen!<. Mein Herz schlägt wie eine Trommel. Es geschieht nichts, der zusammengesackte Gipfelhang ist zu flach, um als Lawine abzugehen. Ich hole Pedro nach, er ist ein bißchen bleich um die Nasenspitze, das Knacken der Schneedecke hat auch er deutlich gehört.
 
 
 
 
Abstieg von der 5.600 Meter hoch gelegenen Passhöhe eines namenlosen Passes auf dem Scheitelpunkt der nördlichen Königskordillere.
 
 
  Der Passübergang, den wir bisher lediglich andeutungsweise aus alten Aymarasagen kannten, er existiert wirklich. Die Aussicht ist gigantisch, rundum eisbedeckte Andenriesen. Wir umarmen uns in einer Höhe von etwa 5.600 Metern, direkt auf dem Scheitelpunkt der längsten und höchsten Andenkordillere Boliviens. Da wir nicht wissen, ob das schöne Wetter lange hält, brechen wir bald auf, steigen wegen der unsicheren Schneelage an Firnankern gesichert den dem Abstieg entgegengesetzten Hang ab, hinunter zum riesigen Illampu-Gletscher. Wenn uns hier oben, fernab der Zivilisation und weit weg von den gängigen Routen der Bergsteiger, irgendetwas passiert, dann sind wir verloren, dieses Bewußtsein läßt keinen Leichtsinn aufkommen. Wie Raubtiere blicken die Sechstausender-Giganten Ancohuma und Illampu auf uns herab - was für eine Traumwelt, grausam und schön. Nachdem der Gletscher mit seinen knackenden Eisbrüchen hinter uns liegt, ist der Weg immer noch weit, wir sehen weder Anfang noch Ende. Eine Reise und kein Ziel.
 
 
  Pedro, durch Seil gesichert, auf dem Illiampu Gletscher. Die Sicherung ist notwendig, da hier zahlreiche trügerische Gletscherspalten lauern.
 
 
 
 
  Rast auf einer Felsinsel des Illiampu Gletschers.
 
 
 
 
 
 
Kurze Pause vor einem Gletscherbruch.
 
 
  Der bärenstarke Pedro ist mit dem steigeisenfesten Lowa-Schuh hochzufrieden, doch auch er braucht jetzt öfter eine Pause. Wie viele Tage, Wochen, Monate ist es schon her, daß ich von Sorata losgelaufen bin? Ich blicke in diese Unendlichkeit aus Stein und Eis, plötzlich wird die Zeit durchsichtig. Während Stunden, Tage und Jahre wie Zwiebelhäutchen von mir abfallen, tun sich neue Räume auf, in denen die Zeit als Dimension einfach vergeht. Nach langem auf und ab erreichen wir todmüde, aber zu guter Stunde, den Lago Negro. Am Klettergurt baumeln noch die Firnanker, so wie ich bin lege ich mich auf den Boden und schlafe eine Stunde, oder drei. Als ich wieder erwache bereiten wir uns ein karges Abendessen von dem wenigen Proviant, der noch übrig ist. Es war ein guter Tag, wir sind zufrieden.
 
  Pedro beim Abstieg. Langsam gehen ihm die Kräfte aus.
 
 
 
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Letzte Aktualisierung: 18.01.06
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